Portrait von Niels Bossert: Kanufahrer, Klimaaktivist, Kantonsrat

«Findet man so viel über mich?», Maurus Pfalzgraf kann sich ein Lachen nicht verkneifen, als er beim
Mittagessen in der «Fassbeiz» erfährt, wie viele Seiten ich zur Vorbereitung über ihn gelesen habe. Am Vortag
wurde seine Motion «Zone für erneuerbare Energien» für erheblich erklärt und sein Postulat «mehr
bewilligungsfreie Solaranlagen» vom Kantonsrat überwiesen. Neben der Arbeit für den Kantonsrat hat Pfalzgraf
auch sonst immer viel zu tun: Studium, Lehrdiplom Sport, Arbeit für Politik.ch, Kanufahren, Zeit mit Freunden
verbringen, usw. Von Überforderung keine Spur, er scheint es förmlich zu brauchen. Er widerspricht grinsend:
«Es ist nicht so, dass eine Sache nicht reicht, wenn ich aber länger etwas mache, muss ich wieder anderes tun.»

Maurus Pfalzgraf wurde am 23.12.1999 als zweites von vier Kindern in Feuerthalen geboren. Die Mutter
Hebamme, der Vater Physiklehrer an der Berufsbildungsschule Winterthur. Die Eltern beschreiben ihren Sohn
gegenüber der Schaffhauser AZ als bewegungsliebend, neugierig und schnell im Kopf. «Kommt hin»,
kommentiert Pfalzgraf schmunzelnd. Um die überschüssige Energie loszuwerden, begann er als 8-jähriger
neben der «Pfadi» noch mit Wasserball. Er wechselte dann jedoch die Sportart und fand mit 9 Jahren
schliesslich im Kanufahren seine Leidenschaft.


Neugier ergibt neuen Fokus


Mit 13 schaffte Pfalzgraf schliesslich den Sprung in den nationalen Nachwuchskader im Wildwasserrennsport.
2016 holte er zusammen mit Linus Bolzern die erste Medaille für die Schweiz. Der Leistungssport begleitete ihn
auch weiterhin, als er im Förderprogramm Sport die Kantonsschule Schaffhausen besuchte. Auf den Abschluss
der Kantonsschule folgte die Spitzensport-Rekrutenschule in Magglingen. Was sich in seiner Zeit in der
Kantonsschule jedoch langsam abzeichnete, wurde im Militär noch klarer: Die Zeit war reif für einen neuen
Hauptfokus. Wobei der Fokus bei ihm eigentlich meist eher auf mehreren Dingen liegt, wie auch beim
Gespräch, bei dem er zeitgleich nahezu unaufhörlich mit der Hand sein leeres Wasserglas im Kreis drehen lässt
oder sich im Raum umschaut. An Konzentration mangelt es jedoch keinesfalls, die Antworten kommen wie aus
der Pistole geschossen. Der damalige Sinneswandel war bedingt durch Neugier und Sinnhaftigkeit. «Ich habe es
ja ca. 10 Jahre gemacht, dann gibt es nicht mehr viel Neues.» Er fragte sich: «Wieso machen wir das
überhaupt? Es gibt doch viel grössere Probleme in dieser Welt, als das ich über 1000 Meter noch 10 Sekunden
schneller paddle.» Ab diesem Zeitpunkt sollte ihn also nicht mehr das Paddel im Kanu antreiben, sondern etwas
viel Grösseres: Der Kampf fürs Klima. Wobei dieser Entscheid eigentlich schon dem Jahr 2007 entstammt.


Pfalzgraf und das Klima


«Ich habe noch nie so schlecht geschlafen wie in dieser Nacht.» Für den damals 7-Jährigen war «An
Inconvenient Truth» von Davis Guggenheim und Al Gore schlimmer als jeder Horrorfilm. Er wollte danach nicht
mehr in ein Auto einsteigen und nahm mit 10 Jahren allein den Zug, als seine Familie in die Ferien fuhr. Der
Spitzensport verdrängte jedoch die Klimathematik wieder ein wenig. «Das Kanu konnte man eigentlich nur mit
dem Auto transportieren, ins Trainingslager flog man.» Im Verlauf der Zeit begann ihn genau dies wieder zu
belasten. Die erste Teilnahme an einem Klimastreik war dann überwältigend für den zweifelnden Sportler. Er
engagierte sich immer mehr.
«Der Klimastreik und ich, eine Symbiose», so der Titel eines damaligen
Blogeintrags. «Ich half ihm mit der investierten Zeit und Energie, er zeigte mir, dass ich nicht allein bin mit
meinen Bestrebungen», erklärt Pfalzgraf. Dem Leistungssport kehrte Pfalzgraf den Rücken. Auch die
Studienrichtung wechselte er schliesslich. «Wieso nicht das studieren, was mich bewegt?» Also von
Gesundheitswissenschaften und Technologie zu Umweltnaturwissenschaften. Gleichzeitig absolviert er das
Lehrdiplom Sport. Sport ist auch das Stichwort, als eine Bekannte ihn im Restaurant entdeckt und zeitnah
gemeinsames Acroyoga vorschlägt. «Ja, schreib mal in die Gruppe», erwidert Pfalzgraf.


Kurze Hosen im Kantonsrat

"Ich wollte bei mehreren Parteien Mitglied sein, um das ganze Schema ein wenig zu durchbrechen.», sagt der junge Grüne. Er fällte schliesslich doch eine Entscheidung und wurde 2021 in den Kantonsrat gewählt. Gianluca Looser, Kantonsrat junge Grüne, schätzt Pfalzgraf sehr: «Er denkt unglaublich kreativ und teilweise unkonventionell, so kommen neue Ideen auf.» Für manche dürfte sein Ansatz des überparteilichen Denkens unkonventionell erscheinen: «Leute, die schon deiner Meinung sind, kann man nicht mehr überzeugen und wenn man politisch etwas erreichen möchte, sind das die falschen Ansprechpartner.» Das der 22-Jährige mit seiner Art aber nicht bei allen auf einen grünen Zweig kommt, zeigen Seitenhiebe von Ratskollegen auf Twitter. Kurze Hosen im Ratssaal stiessen sauer auf. Er nehme das sportlich. Konsequenz: «Es kam schon vor, dass Kantonsräte der SVP mir gesagt haben, dass meine Vorstösse gut und richtig gewesen sind, sie mich aber nicht unterstützten, weil es eben von mir kam.» Bei den neusten Vorstössen hatte er nun jedoch auch Mitunterzeichner der Bürgerlichen. «Wie bringt man Policies durch, die mehrheitsfähig sind und die Gesellschaft klimaverträglicher machen?» Diese Frage treibt ihn an. Momentan fokussiert Pfalzgraf sich auf Wärmeverbunde. Seinen halbjährigen Zivildienst hat er vor Kurzem bei der Klimastiftung Zürich absolviert und in Sachen Bachelorarbeit zum Thema Solarzellen ist Endspurt angesagt. «Ich versuche einfach nicht als völliger Workaholic zu enden, wie Brigitte Nyborg aus der Serie «Borgen».» Darüber muss er lachen, danach muss er los. Man versuchte ihn schon den ganzen Tag telefonisch zu erreichen und erwartet ihn zum Interview. Die Arbeit ruft.